Wie die anderen Jahre war auch der Flug schon im Jahr vorher gebucht, das Wohnmobil bestellt und die Ruten in das Wasserrohr aus Plastik eingepackt. Es sind ja nur die schweren Ruten, die leichten für die heimischen Vereinsgewässer oder den Rhein warten auf ihren Einsatz in der Garage auf den Leisten. Für Kanada ist leichte Ausrüstung überflüssig. Überflüssig sind auch die Worte des Chauffeurs, den unser Angler im Beruf hatte, in den heutigen Zeiten eines Navigationsgerätes. Das Navi verfährt sich nicht, anders der Chauffeur. Hatte er sich mal im Bundesland verfahren, lehnte er sich vor, schaut aus dem Fenster zur Seite nach links, nach vorn und zur rechten Seite. Der Mitfahrer wusste dann schon was kommt: „Aber schön ist es hier!“ Die Worte kamen so sicher, wie es hässliche Landschaften gibt, in denen er sich verfahren hat. Ganz anders in Kanada an einem Fluss im Juli. Die Lachse zieht es aus dem Pazifik hoch hinauf in die Berge, bis das Wasser keine 50 cm Mächtigkeit mehr hat.
Dort hin, wo auch die Wohnmobile gestellt werden dürfen. Einhundert Meter vom Fluss, dazwischen nur Gestrüpp und trockene, umgesägte Bäume, die alle noch ihre Krone tragen. Wie riesige Rothirsch-Geweihe ragen sie aus dem Unterholz, grau mit Spitzen daran. Sie hantiert im Wohnmobil, liest ein Buch, richtet ihm den schottischen Whiskey alle zwei Stunden und er drillt und wirft wieder aus, drillt wieder, wirft aus. Sein Gefühl zeigt ihm: „Genau, zwei Stunden sind um, dass Getränk sollte kommen.“ So wundert es ihn nicht, dass es im Holz hinter ihm knackt, als er einen mindestens vierzig pfündigen Fisch drillt, dem weiten Ansehen nach ein Königslachs, beäugt von einem ausgewachsenen Weisskopf-Seeadler auf der anderen Flussseite auf einem von einem Sturm gebrochenen Baum. Gefischt wird nicht nach alter indianischer Tradition mit Lachseiern, sondern mit Gummifisch oder Spinner der Größe vier. Alles andere kostet eine Menge Strafe und Beschlagnahme der Ausrüstung. Auch das ist ein Wissen, welches unser Angler schon einmal praktisch erfahren hat. Jetzt hängt am Blinker ein Fisch, der beim Näherdrillen seltsam aussieht. Von stromaufwärts nähert sich ein Boot mit einem heimischen Angler drin, der aufgeregt auf den Fisch zeigt: „You are stupid. It‘s a White Sturgeon! He ist under protect in this district of the river. You have to let them free! Fast!“ „Wie denn?“, denkt der Wohnmobilist. Erst muss ich ihn an Land haben und den Haken raus. Unwissend bestätigt er dem Bootsfahrer die sofortige Freilassung des „White Sturgeon“ von seinem Schonhaken mit einem Nicken. Der Fisch ist tatsächlich ein weißer Stör, der nicht ans Ufer will. Mit kräftigem Schütteln des Fisches fliegt der Schonhaken durch die Luft, taucht in die spritzenden Fluten ein, die Schnur ist locker und nicht da getaucht, wo sie der Angler haben wollte. Doch bevor er drillen kann, zerrt ein Biss an der Rute. Wieder ein Fisch, wo eigentlich nach dem Angelwissen keiner sein dürfte. Und was für einer. Die 150 Gramm Wurfgewicht-Rute biegt sich beängstigend durch, die Bremse wird gelockert und Schnur läuft surrend ab. 50 m, 100 m, 150 m, Kehrtwende. Die Schnur muss aufgedrillt werden, der Fisch hat gewendet, von mit dem Strom, jetzt stromaufwärts. Die Sehne ist noch immer locker, wird schweißtreibend auf die Spule gebracht. Wieder ein Knacken im Geweih-Gewirr, für das unser Angler kein Ohr hat. Er kämpft mit dem Equipment und dem Kraftpaket vor ihm im Wasser. Catch and release heißt das Motto in Kanada. Noch im Drill werden die Muskeln lahm. Vom Fisch und vom Angler. Ein Stör und ein großer Lachs sind wahre Athleten, die einen Friedfischangler übers Jahr fordern, wenn sie bei ihm gebissen haben. Bald ist es auch geschafft, der Königslachs, diesmal ist es einer, zappelt auf dem Ufersand. Wieder ein Knacken, hintendrein die Worte: „Stell‘ den Whiskey auf den Baumstumpf neben mir. Ich trinke ihn gleich.“ Schnell blickt er sich um zum Wohnmobil und sieht seine Frau. Sie blickt bleich aus dem Fenster und zeigt mit aufgerissenen Augen neben ihren Mann ins Unterholz. In Zeitlupe dreht sich der Kopf weiter zu dem imaginären Punkt, auf den seine Frau zeigt. Diesmal ragt kein graues Ästlein aus dem Grün, sondern ein dunkelbraunes Etwas. Mindestens doppelt so groß wie unser Angler und schwer. Behaart und aufrecht stehend, nicht den Angler im Blick, sondern den Königslachs neben ihm. Grizzly und Lachs. Dazwischen ein Angler, nur mit einer Rute bewaffnet. Die Frau klopft auf die Außenwand des Wohnmobils, der Grizzly wendet sich um, der Angler tritt über den Lachs hinweg am Fluss stromabwärts, der Weißkopfseeadler erhebt sich mit drei Flügelschlägen und zieht mit wenigen Schwüngen hinter der Flussbiegung stromaufwärts seines Weges. Was denkt wohl der Bär: „Angler oder Lachs?“